Konzentrationslager und Sowjetisches Speziallager Sachsenhausen: Archäologie und Zeitgeschichte
Archäologische Funde aus einer Müllgrube im Bereich des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen
Seit knapp 20 Jahren werden in dem ehemaligen Konzentrationslager und dem Sowjetischen Speziallager Sachsenhausen archäologische Untersuchungen durchgeführt. Die Leitung der heutigen Gedenkstätte sieht in der Archäologie auch eine Chance, im Boden befindliche Spuren und Botschaften für die Forschungen zur Geschichte der Lager zu nutzen und die archäolgischen Funde für die pädagogische Arbeit zu verwenden. 2006 wurde in einem Projekt zahlreiche Funde aus einer große Müllgrube geborgen, dokumentiert und untersucht.
Die Gedenkstätte
Das Konzentrationslager Sachsenhausen, 1936/37 bewusst in der Nähe der Reichshauptstadt errichtet, übte innerhalb des KZ-Systems eine Leitfunktion aus. Während der neunjährigen Benutzungsdauer waren dort 200.000 Menschen inhaftiert. Am 22. April 1945 wurde das Lager durch sowjetische und polnische Verbände befreit. Wenige Monate danach wurde es als Speziallager Nr.7 (später Nr.1) unter Verminderung der Fläche von der sowjetischen Besatzungsmacht wieder in Nutzung genommen. Bis zur Auflösung der Speziallager 1950 waren dort 60.000 Menschen inhaftiert.
Im Laufe der folgenden drei Jahre wurde die „Station Z“ (die Vernichtungsanlage aus der KZ-Zeit) gesprengt, die Baracken abgerissen, deren Fundamente aber im Boden belassen und der Lagerkomplex von der sowjetischen Armee genutzt. Ihr folgten die Kasernierte Volkspolizei und die Nationale Volksarmee der DDR. Im Jahre 1961 beschloss das ZK der SED auf Initiative ehemaliger Häftlinge den Bau einer nationalen Mahn- und Gedenkstätte. Die Geschichte des Speziallagers nach 1945 fand dabei keine Erwähnung.
Heute gehört das Gelände des ehemaligen KZ`s und Speziallagers Sachsenhausen zur „Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten“. Unmittelbar nach Gründung der Stiftung 1993 wurde mit einer umfassenden Sanierung und Neugestaltung begonnen. Seitdem werden alle Baumaßnahmen archäologisch begleitet.
Das Praktikum
Das Praktikum
Schon durch Georadarmessungen ist seit 1990 eine grubenartige Struktur östlich der Nordspitze des Lagerdreiecks des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen und des sowjetischen Speziallagers bekannt. Hier war der Bau für das Museum des sowjetischen Speziallagers Nr.7/Nr.1 geplant. Bei Bau des Museum für das sowjetische Speziallager Nr.7/Nr.1 wurde bei den baubegleitenden archäologischen Maßnahmen im März und September 2000 festgestellt, dass es sich um eine sehr große Müllgrube handelt. Der Befund erstreckte sich auf einer Länge von 30 m, die Breite betrug 5,60, bei einer Tiefe von 2,00 (Norden) – 3,00 (Süden) m. Es konnte beobachtet werden, dass die Grubenfüllung im Wesentlichen aus einer relativ homogenen Auffüllung besteht. Eine sachgerechte archäologische Ausgrabung war während der Bauarbeiten nicht möglich, es wurde daher die gesamte Müllgrube systematisch von Süden nach Norden ausgebaggert und der Aushub im so genannten Industriehof von Süden nach Norden abgelagert. So war die Möglichkeit gegeben, bei der Bergung der Funde eventuell vorhandene Schichtungen und Konzentrationen von Fundgruppen festzustellen. Im Winter 2005/06 wurde ein Konzept erstellt, um die Funde unter archäologischer Fachanleitung in einem angemessenen Zeitrahmen und Arbeitsaufwand zu bergen. Im Rahmen eines vierwöchigen Praktikums des Lehrstuhls für Ur- und Frühgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin sowie einer zweijährigen Nachbereitung durch zwei studentischen Hilfskräfte sollen unter archäologischer Betreuung die Funde geborgen, teilweise gereinigt, fotografiert und inventarisiert werden. Es entstand eine Magisterarbeit, die die Funde unter funktionalen Gesichtspunkten untersuchte und eine Bilddatenbank, der Gedenkstätte für die pädagogische Arbeit zur Verfügung steht.
Das Material der Müllgrube war über eine Länge von ca. 82 m im sogenannten Industriehof abgelagert worden. Da eine exakte Trennung der LKW-Ladungen nicht mehr zu erkennen war, wurde die Einteilung in die Segmente 1 – 13 schematisch vorgenommen. die Der Aushub wurde von einer Rüttelmaschine gesiebt, die Rüttelmaschine hatte zwei Siebgrößen: 100 mm sowie 50 mm. Dadurch entstanden 3 Haufen, einmal mit Funden über 100 mm, Funde zwischen 50 und 100 mm, sowie ein großer Haufen mit Erde und den übrigen Kleinfunden. Diese Erde wurde noch einmal durch ein engmaschiges Sieb gesiebt und auch die Funde wie Knöpfe, Münzen etc geborgen.
Das Fundgut wurde zunächst nach Materialien sortiert; soweit es möglich war, wurden die Objekte anschließend nach ihrer Funktion angesprochen. Folgende Materialgruppen wurden festgestellt: Porzellan, Glas, Email, Aluminium, Keramik/Ton/Ziegel, Eisen, Kupferlegierung u.ä., Blei, Edelmetall, Stein, Knochen, Textil, Leder, Holz/Kork/Papier, Kunststoff, Gummi, Baustoffe, Brennstoffe/Schlacken/Brandreste/Graphit, Elektrobauteile.
Es konnte nicht immer eine einheitliche Trennung nach Materialien eingehalten werden, da etliche Funde aus mehreren Materialien (Schuhe: Leder, Gummi, Metall, Autoreifenreste; Elektrobauteile: Kunststoff, Kupfer, Textil…) bestehen. In der Regel wurde die Einordnung nach dem Hauptmaterial vorgenommen, bei Schuhen: z. B. Leder. Hier zeigte sich schon, dass die häufig übliche Einteilung archäologischer Funde nach Materialgruppen nicht immer sehr hilfreich für die Interpretation ist.
In den vier Wochen wurden Funde mit einem Gewicht von rund 5,5 Tonnen geborgen. Allein der Anteil an Eisenfunde beträgt ca. 2,8 t. Ein weiterer großer Gewichtsanteil stellen die Funde aus Porzellan und Glas mit etwa 600, bzw. 300 kg, weiterhin zu nennen sind rund 350 kg Tierknochen, 170 kg Aluminium, 120 kg Gummi und 90 kg Leder. Die Funde wurden in insgesamt ca. 300 Kartons gelagert, etwa 900 Inventarnummern wurden vergeben.
Die weitere Auswertung erfolgte dann nach funktionalen Kriterien. Folgende Klassifikation mit weiteren Unterteilungen wurde vorgenommen:
Kategorie | Unterkategorie | Fundauswahl |
Bauwesen | Bau- und Werkzubehör | Drähte, Schrauben, Dichtungen, Türschlösser |
| Baumaterialien | Fliesen, Ofenkacheln, Dachziegel, Teerpappen |
| Elektrozubehör | Elektroröhren, Kabel, Sicherungen, Glühbirnen |
| Sanitärwesen | Waschbecken, Wasserhähne |
| Werkzeuge | Feilen, Brecheisen, Schraubenschlüssel, Zangen |
Drogerie | Medizinischer Bedarf | Dosen, Ampullen, Phiolen, Bettpfannen, Nierenschalen, Mörser, Spritzen, Wärmflaschen |
| Hygiene/Pflegezubehör | Kämme, Zahnhygiene, Rasierzubehör |
Putzzubehör |
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| Prothesen/Sehhilfen | Brillen, Zahnkronen, Gebissprothesen, Kiefergipsabdrücke |
| Suchtmittelbedarf | Pfeifen, Zigarettenspitzen, Aschenbecher |
Haushalt | Dekoration | Kerzenhalter, Vasen, Nippesfiguren |
| Küchenzubehör | Tischgeschirr (Teller, Tassen, Löffel, Gabeln, Messer), |
| Haushaltsgeräte | Bügeleisen, Kehrblech, Gewichte, Scheren, Besen, Schaufel, Pinsel |
| Heizzubehör | Schürhaken, Briketts |
| Spielzeug/Unterhaltung | Murmeln, Miniaturtasse, Spielzeugfiguren, Plektrum, Uhrattrappen, Kegelkugel, Miniaturflugzeuge |
| Fahrzeug/Fahrzeugzubehör | Fahrradschutzblech, Rücklichtkappe |
| Büro/Schreibwaren | Tintenfässer, Stifte, Füllfederhalter, Dokumentenfragmente, Schreibmaschine |
| Möbel/Einrichtung | Türstopper, Scharniere, Garderobenhaken, Kleiderbügel, Möbelfüße |
| Aufbewahrung | Schachteln, Dosen, Deckel, „Zuckerdosen“ |
| Schilder/Marken/Beschläge | Häftlingsmarken, Plaketten |
| Accessoires | Taschenuhr, Haarspangen, Anstecknadeln, Taschenmesser, Amulette, Haarkämme, Fingerringe |
| Wetz- und Schleifsteine |
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Bekleidung | Gurt/Gürtel/Verschlüsse | Gürtelschnallen, Nieten, Koppelhaken, Sicherheitsnadeln, Reißverschlüsse |
| Sicherheitsbekleidung | Schutzbrillen, Sicherheitsschuhe |
| Abzeichen/Zier | Anstecker, Hutnadeln |
| Schuhe | Schuhe, Stiefel, Pantoffeln, Schuhbeschläge |
| Knöpfe |
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Militaria | Feldgeschirr | Feldflaschen, Felddosen, Besteckteile |
| Bekleidung | Uniformjacke, Knöpfe, Koppelschlösser |
| Ausrüstung | Tornister, Gasmasken, Stahlhelm, Patronengurt |
Münzen | Münzen | 44 Münzen |
Die Auflistung zeigt schon das sehr heterogene Fundaufkommen der Täter und der Opfer beider Lager. Selbstgemachte Kämme, kleine Aluminiumbehältnisse, eine Vielzahl von einfachen Aluminumlöffeln, abgenutzte Zahnbürsten, die Uhrattrappen und ein schwarzen textilienes Häftlingsdreieck zur Kennzeichnung der „asozialen“ Häftlinge werden den Häftlingen gehört haben, Geschirr mit einem Stempel der Königlichen Preußischen Porzellanmanufaktur oder Rosenthal u.ä., Messer und Gabeln die Koppelschlösser, der Stahlhelm, aber auch die Kegelkugel werden den Bewachern und Tätern gehört haben.
Es muss betont werden, dass die jüngsten Funde zeigen, dass die Müllgrube bis 1961 benutzt wurde. Zu den Schlussfunden wird man einen 1961 geprägten DDR-Pfennig oder eine Tasse mit Sandmännchenmotiv zählen können. Die Müllgrube wurde wohl im Zusammenhang mit der Errichtung der Mahn- und Gedenkstätte der DDR geschlossen.
Wie durch frühere Untersuchungen bekannt, stammen die Funde sowohl aus der Zeit des Konzentrationslagers in Sachsenhausen als auch aus der Zeit des sowjetischen Speziallagers. Datierende Hinweise geben die Stempel auf dem Porzellan, Jahreszahlen auf den Münzen sowie etlichen Kleinfunden, kyrillische Texte etwa auf Parfumflakons oder auch Inschriften auf Konservendosen. Die große Menge des medizinischen Zubehörs wird aus der Zeit des Konzentrationslagers stammen, die rund 400 geborgenen Zuckerdosen aus der Zeit des sowjetischen Speziallagers.
Zahlreiche eingravierte oder eingeritzte Namen auf einer Vielzahl von Funden werden sich sicherlich mit durch die Schriftquellen bekannten Häftlingen in Verbindung bringen lassen. Aber auch geben die Inschriften Hinweise auf die Firmen, die Waren verschiedener Art an die Lager lieferten.
Literatur:
Cl. Theune, Vier Tonnen Funde geborgen. Bergung von Funden aus einer Müllgrube im ehemaligen Konzentrationslager von Sachsenhausen, Stadt Oranienburg, Landkreis Oberhavel. Arch. Berlin u. Brandenburg 2006, 131-133.
A.-K. Müller, Entsorgte Geschichte - entsorgte Geschichten. Magisterarbeit Humboldt-Universität zu Berlin 2010.
Cl. Theune, Historical archaeology in national socialist concentration camps in Central Europe. Historische Archäologie Onlinezeitschrift 2010
download: http://www.histarch.uni-kiel.de/2010_Theune_high.pdf
Weitere Informationen zur Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen erhalten Sie hier: www.stiftung-bg.de/index.html
Abbildungsnachweis: Alle Fotos: Cl. Theune