Konzentrationslager Mauthausen: Archäologie und Zeitgeschichte
Das Hauptlager Mauthausen
Einen Einblick in vergangene Geschehnisse bieten unterschiedliche Spuren und Quellen. In erster Linie werden für die Analyse der jüngsten Vergangenheit schriftliche Quellen (Akten, Protokolle, Briefe u.a.m.) herangezogen, Zeugen der Zeit interviewt (Oral History) oder deren autobiografischen Aufzeichnungen genutzt. Außerdem sind zahlreiche Fotografien Momentaufnahmen von Ereignissen, Situationen und Dingen, seien es Gebäude oder bewegliche Gegenstände, die Aufschlüsse über die Verhältnisse der Zeit geben. Die archäologischen Hinterlassenschaften, entweder bauliche Konstruktionen, die heute noch im Boden – oder auch bei bauhistorischen Untersuchungen obertägig – sichtbar gemacht werden können oder auch zahlreiche materiellen Objekte, die noch im Kontext mit den ehemaligen Strukturen liegen, geben einen detaillierten Einblick in Lebenswelten der Vergangenheit. All diese Quellengattungen müssen quellenkritisch analysiert werden, muss doch jeweils untersucht werden, wer Urheber der Quelle ist, wann, wo, zu welchem Anlass und aus welcher Intension die Quelle entstanden ist. Die Erfahrung offenbart, dass etwa die Nutzung nur einer Quellengattung nur ein unvollständiges Bild der Vergangenheit wiedergibt. Erst durch das Zusammenspiel aller Quellen kann dieses Bild umfassend und differenziert gezeichnet werden. Eine enge Kooperation zwischen der Archäologie und der Zeitgeschichte ist daher dringend notwendig.
Jüngste Untersuchungen in verschiedenen ehemaligen Konzentrationslagern in Europa haben belegt, dass archäologische Untersuchungen wichtige Erkenntnisse insbesondere zu den alltäglichen Überlebensbedingungen, dem Terror und dem Sterben geben können, die sonst aus keiner der anderen Quellen erschließbar sind. Genannt seien die Ausgrabungen und Untersuchungen in Bełżec (Polen), Hebertshausen bei Dachau oder Sachsenhausen (beide Deutschland) (Kola 2000; David 2003; Theune 2006), aber auch die archäologischen Grabungen im Zusammenhang mit der Errichtung des neuen Besucherzentrums in Mauthausen (Artner/Farka/Hofer/Krenn 2004). Diese ersten Ansätze lassen erahnen, welches Potential in den archäologischen Quellen für umfassende zeitgeschichtliche Analysen steckt. Aufgrund der zahlreichen aufgefundenen Alltagsgegenstände wird die Perspektive der Häftlinge, bzw. Opfer deutlich. So kann die Erinnerung und das Gedächtnis an die Opfer des Holocaust gewahrt werden.
Daher ist es dringend geboten, auch bei der nun laufenden Erstellung eines neuen Konzeptes und der Umsetzung für die künftige Präsentation der KZ-Gedenkstätte Mauthausen interdisziplinäre Forschungen durchzuführen. Dies gilt insbesondere für die Umsetzung des Ziels der Gedenkstättenleitung, der Sichtbarmachung der Dimension des Lagers in seiner größten Ausdehnung und Vielfältigkeit der Nutzung, die weit über das Areal der heutigen Gedenkstätte hinausgeht. Hier besteht die einmalige Chance, zahlreiche Überreste des Überlebens, des Terrors und des Sterbens zu finden, für die Nachwelt zu erhalten und den künftigen Besuchers der Gedenkstätte Mauthausen zu präsentieren. Im Vordergrund stehen die Außenbereiche, das 1941 bis 1943 errichtete so genannte Sanitätslager, das im Herbst 1944 aufgebaute Zeltlager, das ebenfalls 1944 errichtete Lager III, die Aschenhalde und die anschließende Böschung sowie die Hinrichtungsstätte.
"Sanitätslager"
Seit 2009 werden verschiedene archäologische Untersuchungen durchgeführt. Zunächst wurden in Kooperation mit ArchaeoProspects die Strukturen auf umfangreichen Flächen durch eine geophysikalische Prospektionen erfasst. Inzwischen liegen vom Sanitätslager, von Zeltlager und vom Werkstattbereich nördlich des Lagers die Messungen vor. Außerdem werden umfangreiche bauarchäologische Untersuchungen durchgeführt. So soll für alle noch stehenden Gebäude eine entsprechende Bauaufnahme erstellt werden.
Im Sommer 2009 fand eine erste Grabung auf dem Gelände des Sanitätslagers statt, der Kopf der Baracke 6 wurde freigelegt. Direkt unter der Grasnarbe waren die Fundamente sehr gut erhalten, es konnten die Standspuren der Raumaufteilung beobachtet werden und das Fundament eines Ofens dokumentiert werden.
Weg zum Steinbruch
Weg zum Steinbruch
Eine kleine Fläche wurde auf dem Weg vom Hauptlager zum Steinbruch geöffnet. Heute ist der Weg an beiden Seiten verwachsen und von Gras gesäumt. Die Ausgrabung zeigte, dass der Weg in nationalsozialistischer Zeit deutlich breitet war und von Abflussrinnen begleitet wurden.
Aschehalde
Bohrungen wurden im Bereich der Aschehalde durchgeführt, sie zeigen das Ausmaß der Ascheniederlegungen. So ist schon in nationalsozialistischer Zeit das Gelände für die Einbringung der Asche planiert worden.
Die Außenlager
Zum Konzentrationslager Mauthausen gehörten mehr als 50 Außenlager. Hier besteht teilweise der Plan, weitere Gedenkstätten einzurichten. Vielfach sind heute auch kaum noch detaillierte Nachrichten über diese Nebenlager bekannt. Daher wurden im Sommer 2011 in den Außenlagern Loibl-Nord und Gunskirchen archäologische Surveys durchgeführt.
Außenlager Loibl-Nord
Außenlager Loibl-Nord
Am Loiblpass mussten die Häftlinge in den Jahren 1943 - 1945 einen Tunnel durch die Karawanken graben. Es entstand zunächst im Süden ein erstes Konzentrationslager (heute Slowenien), im Sommer 1943 wurde auch auf der Nordseite (heute Österreich) ein Lager errichtet. Schon Ende 1943 erfoglte der Tunneldurchstich. Zum Bau des Tunnels wurden Zivilarbeiter und Häftlinge herangezogen, wobei sich die Zahl der Häftlinger immer weiter erhöhte. Die Große Mehrheit der Häftlinge kamen aus Frankreich, aber auch viele andere Nationalitäten waren vertreten. Erst wenige Tage vor Kriegsende verließen die Häftlinge das Lager. Auf slowenischer Seite existiert schon lange eine Gedenkstätte, nun soll auch auf österreichischer Seite eine Gedenkstätte errichtet werden. Die Prospektion erfasste die Barackenstandorte auf künstlichen Terassen am Hang zum Tunneleingang. Insgesamt sind im Häftlingsbereich nur noch wenige Spuren vorhanden. An einigen Stellen konnten noch Überreste von gemauerten Öfen festgestellt werden. Fast auf der gesamten Länge konnte jedoch noch der das Häftlingslager umgebende Stacheldrahtzaun erfasst werden. Im Zivillager bzw. SS-Bereich finden sich noch zahlreiche Spuren.
Des weiteren wurden etliche obertägig sichtbare Funde geborgen. Zu den besonderen Funden gehört ein fragmentierter Deckel einer Konfitürendose aus Aluminium. zu lesen ist noch die zu ergänzende Schrift: confitures. Die drei Buchstaben "rac", die in der Mitte des Deckels zu sehen sind, verweisen auf die Firma Vitrac, die noch heute Confituren produiert. Auch der Preis von 5 Franc ist noch zu erkennen. Es ist bekannt, dass Häftlinge Pakete aus der Heimat erhalten konnten. Auch wenn die SS sicherlich verschiedene Inhalte entwendete, ist bekannt, dass einiges noch die Häftlinge erreichte. Bei dem Dosendeckel handelt es ich also mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein Zeugnis eines solches Paketes aus Frankreich.
Außenlager Gunskirchen
Das Außenlager Gunskirchen an der Grenze der Gemeinden Gunskirchen udn Edt bei Lambach gelegen bestand nur wenige Wochen vor dem Ende des 2. Weltkrieges. Hierher wurden in erster Linie in Todesmärschen ungarische Juden getrieben, die seit Herbst 1944 nach Mauthausen gekommen waren. Auf einem Luftbild der Allierten sind im Wald 10 Häftlingsbaracken und 1 Baracke der Bewacher zu sehen. Auch auf einem digitalen Geländemodell sind noch Teile des Lagers zu erkennen. Im Gelände konnten noch die Hälfte der Baracken festgestellt werden. Dazwischen liegen einigeaus Beton gebaute rechteckige Gruben. Sie weisen einen Rand auf, so dass davon auszugehen ist, dass sie von einer Art "Deckel" verschlossen werden konnten. Vielleicht handelt es sich um die Fäkaliengruben. Auffällig ist, dass hier sehr viel Funde im Wald liegen. Die Auffschriften sind fast ausschließlich ungarisch, bzw. verweisen auf Ungarn und geben damit einen deutlichen Hinweis auf den Häftlinge. Dazu gehören etliche Zahnbürsten, Kämme, sehr viel Koch- und Essgeschirr, einige Löffel, Reste von Schuhen und Kleidung.
Literatur
A. Kola, Bełżec. The Nazi Camp for Jews in the Light of Archaeological Sources. Excavations 1997-1999 (Warsaw – Washington 2000).
W. David, Archäologische Ausgrabungen in der ehemaligen SS-Erschießungsanlage bei Hebertshausen. Vorbericht (o.O. 2003).
G. Artner/Chr. Farka/N. Hofer/M. Krenn, Die archäologischen Untersuchungen in Mauthausen. In: Referat IV/7/a, KZ-Gedenkstätte Mauthausen, Ministerium für Inneres et.al., Das Gedächtnis von Mauthausen. (Hrsg.), (Wien 2004).
Cl. Theune, Vier Tonnen Funde geborgen. Eine Müllgrube im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen, Stadt Oranienburg, Lkr. Oberhavel. Archäologie in Berlin und Brandenburg 2006, 131-133.
Cl. Theune, Archäologische Relikte und Spuren von Tätern und Opfern im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen. In: Mauthausen Memorial neu gestalten. Tagungsbericht zum 1. Dialogforum. 18. - 19. Juni 2009 (Wien 2010) 33-38
Cl. Theune, Zeitgeschichte - Archäologische Untersuchungen in der Gedenkstätte Mauthausen. In: KZ Gedenkstätte Mauthausen. Mauthausen Memorial 2009. Forschung, Dokumentation, Information (Wien 2009) 25-30. Download: mauthausen-memorial.at/db/admin/de/get_document.php?id=150
Cl. Theune, Historical archaeology in national socialist concentration camps in Ventral Europe. Historische Archäologie. Onlinezeitschritft 2010. Download: http://www.histarch.uni-kiel.de/2010_Theune_high.pdf
Fotos, wenn keine andere Angabe: Cl. Theune
Link zur Gedenkstätte Mauthausen: http://www.mauthausen-memorial.at/