Der Währinger Jüdischer Friedhof – Ein Ort der Erinnerung?

Der Währinger Jüdische Friedhof, Kindergräber (Foto: Cl. Theune)

Jüdische Friedhöfe im Spannungsfeld zwischen Kultstätte, Erinnerungsort und Denkmalpflege

Der Währinger Jüdische Friedhof wurde als Begräbnisstätte für die Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Wien zwischen 1784 und 1880 genutzt, mindestens 8000 Menschen wurden hier beerdigt. Teilweise waren die Bestatteten maßgeblich an der Industrialisierung und der Herausbildung der modernen Gesellschaft im Wien des 19. Jahrhundert beteiligt. So sind z. B. Mitglieder der Familien Epstein (Mitbegründer der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn), Königswarter (Bankier) Wertheimer, von Arnstein und Mendelsohn hier bestattet. In einer eigenen Abteilung liegen die verstorbenen sephardischen Juden aus dem osmanischen Reich. Die sehr unterschiedlich gestalteten Grabsteine sind ein Spiegelbild vieler Aspekte der Kultur-, Kunst-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts.

Der Währinger Jüdische Friedhof, Kindergräber (Foto: Cl. Theune)

Der Währinger Jüdische Friedhof, Grabmal in der Sephardischen Abteilung (Foto: Cl. Theune)

Während der NS-Zeit wurde ein Teil des Friedhofs für die Anlage eines Löschwasserteiches zerstört, das Friedhofsgelände enteignet, es ging 1942 in den Besitz der Stadt Wien über. Nach dem 2. Weltkrieg wurde der Friedhof an die Jüdische Gemeinde restituiert.
Heute ist der Friedhof leider in einem sehr schlechten Zustand. Der hohe Zerstörungsgrad ist u.a. durch fehlende kontinuierliche Pflege, durch Vandalismus und Umwelteinflüsse (Sturm, Frost und Bewuchs) bedingt.

Interdisziplinäres Seminar - Ringvorlesung - Posterausstellung

Die große Problematik um den Erhalt der jüdischen Friedhöfe ist derzeit ein aktuelles Thema in der Politik und in den Medien. In dem Seminar möchten wir auch die Studierenden für das Thema sensibilisieren.

In der interdisziplinären Lehrveranstaltung sollen von den beteiligten Wissenschaften verschiedene Aspekte thematisiert werden. So werden u.a. folgende Fragestellungen behandelt werden:
Ethische Grundsätze bei Friedhöfen, auf denen nicht mehr bestattet wird; Vergleich zwischen christlichen und jüdischen Grabriten; Jüdische Kultur in Wien im Mittelalter und in der Neuzeit; Grabmaltypen und Ikonographie im christlichen und jüdischen Kontext ; Gedenkkultur zwischen 1948 und 2008; Wahrnehmung des Währinger Jüdischen Friedhofs in der Umgebung; Mythenbildung während der NS-Zeit und während der Nachkriegszeit; Zentrale Gestalten des Wiener Judentums im 19. Jahrhundert; Jüdische Friedhöfe und Filme.

Die Ergebnisse wurden im Oktober und November 2008 in einer Posterausstellung im Hauptgebäude der Universität Wien präsentiert. Anfang 2009 werden die Poster in München zu sehen sein, im Herbst 2009 (ab. 29.10.2009) im Bezirksmuseum Währing.

Im Wintersemester 2008/09 komplettiert eine Ringvorlesung die Veranstaltungsreihe internationalen Expertinnen und Experten aus den Fachgebieten Geschichte und Zeitgeschichte, Kunstgeschichte, Judaistik, Rechtswissenschaften, Denkmalpflege, Gartendenkmalpflege, Anthropologie, Restaurierung und Konservierung werden spezifische Aspekte weiter vertiefen und in einen internationalen Kontext stellen (Programm zum download steht in der rechten Spalte bereit).

Teilnehmende Dozenten:

Michaela Haibl (Europ. Ethnologie), Klaus Davidowicz (Judaistik), Elisabeth Goldarbeiter-Liska und Martina Pippal (Kunstgeschichte), Wolfgang Szaivert (Numismatik), Claudia Theune und Otto Urban (Ur- und Frühgeschichte), Bertrand Perz und Frank Stern (Zeitgeschichte), Tina Walzer (freischaffende Historikerin) Koordination: Claudia Theune

Eine Veranstaltungsreihe an der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät im Sommersemester 2008  und im Wintersemester 2008/09

Die Ringvorlesung wurde freundlicherweise finanziell unterstützt durch

  • Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus
  • Historisch - Kulturwissenschaftliche Fakultät der Universität Wien

Präsentationsorte der Posterausstellung:

10.10. - 20.10. 2008: Hauptgebäude der Universität Wien, linke Seitenaula

4.11. - 21.11. 2008:   Campus der Universität Wien (altes AKH), Hörsaalzentrum

16.3. - 19.4. 2009:     Bayerische Staatsbibliothek München, Deutschland

29.10. - 15.11. 2009: Bezirksmuseum Währing, Wien

Alle Poster der Ausstellung als .pdf Datei (ca. 8 MB)

Bilder von der Eröffnung der Posterausstellung an der Universität Wien

 


Das Projekt konnte mit der Publikation der Ringvorlesung erfolgreich abgeschlossen werden:

Cl. Theune / T. Walzer, Jüdische Friedhöfe. Kultstätte, Erinnerungsort, Denkmal (Wien 2011)

Literatur

Eva-Maria Bauer (Red.): Währinger Jüdischer Friedhof. Vom Vergessen überwachsen. (Weitra 2008)

M. Keil/E. Brugger, Geschichte der Juden in Österreich. Geschichte Österreichs Ergänzungsband  (Wien 2006).

M. Keil: Denkmale. Jüdische Friedhöfe in Wien, Niederösterreich und Burgenland (St. Pölten 2006).

T. Walzer, Von Großhändlern und Gehilfen. Aspekte der Sozialgeschichte Wiener jüdischer Familien im 19. Jahrhundert. In: Sabine Hödl/ Martha Keil (Hg.): Die jüdische Familie in Vergangenheit und Gegenwart (Berlin 1999) 107-121.

T. Walzer, Bund oder Land? Ein weiteres Jahr im Streit um die Erhaltung des jüdischen Friedhofes Währing. In: DAVID Jg. 19 (2007) Nr. 75, S. 56-59.

C. Theune / T. Walzer (Hrsg.), Jüdische Friedhöfe. Kultstätte, Erinnerungsort, Denkmal (Wien 2011)